Wundersames Deutschland

Leseprobe aus dem Kapitel "Die Sprache"

In einem gewichtigen Punkt mag es aber doch Unterschiede geben, die mehr sind als nur die unterschiedliche Aneinanderreihung von Buchstaben. Das ist die ungeheuer ausgeprägte Befähigung des Deutschen, Wörter zusammenzusetzen und damit neue Bedeutungen zu schaffen. Die Menge möglicher „Komposita“ im Deutschen ist unendlich. Denn es ist ganz einfach: Man nehme zwei Hauptwörter, setze sie zusammen, und schon hat man ein neues Wort.  „Eisen“ und „Bahn“ ergibt zusammen „Eisenbahn“. Aus „Dach“ und „Terrasse“ wird „Dachterrasse“. Manchmal schieben wir einen kleinen Laut zwischen die beiden Substantive oder lassen einen weg, um die Aussprache zu erleichtern oder wohlklingender zu machen, wie in „Bildungsreise“ oder „Lebensalter“, „Wagemut“ oder „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Hier sind es schon drei Substantive hintereinander, wie auch in „Haarnadelkurve“, und es geht noch länger: „Oberflächenbeschichtungstechnologie“, „Notkühlmittelversorgungstank“, „Kreuzschlitzschraubendreher“ oder „Mängelgewährleistungsbürgschaft“. Tollkühner kann nur noch polnisch sein, nicht so sehr wegen langer Wörter, sondern wegen der Eigenart, unendlich viele Konsonanten hintereinander zu setzen. Mein Lieblingsausdruck ist „płaszcz przeciwdeszczowy“.  Gesprochen klingt das eigentlich ganz hübsch - ich schwör´s -, und es heißt: „Regenmantel“. Wie dem auch sei, im Deutschen funktioniert das Zusammensetzen von Wörtern auf wundersame Weise auch mit zahlreichen Adjektiven, Verben oder Adverbien, in Kombination miteinander oder wieder mit Substantiven.  Aus „sanft“ und „Mut“ wird „Sanftmut“, das Adverb „gern“ und das Adjektiv „groß“ verbinden sich zu einem „Gernegroß“, „Zucker“ und „süß“ fühlen dem Kauwerk „zuckersüß“ auf den Zahn. Ideal ist die Fähigkeit zum Zusammensetzen auch, um neue Worte zu kreieren, die vielleicht nur ein einziges Mal verwendet werden, aber sofort einleuchten und Spaß machen. Journalisten sind darin Meister. Ein neues Automobil, das seine Motorkraft in edlem Kleid und zivilem Auftreten verbirgt, kommt dem testfahrenden Zeitungsredakteur „testosterongebremst“ vor.[i]  In Zeiten der Krise versucht ein Galerist seine Kunstwerke an Messen und Versteigerungen vorbei durch „Hinterzimmertuscheln“ an klamme Sammler und Investoren zu verkaufen.[ii] Ein Theaterkritiker meint, auf den Bühnen setzten sich neuerdings „freche, starke, rotzig zeitgeistige“ Schauspielerinnen durch, die noch das Abendkleid als „Szenenturnierkampfpanzer“ trügen.[iii] Ein Musik-Redakteur schreibt von der neuen Schallplatte „60 Jahre D-Mark“ der Frankfurter Gruppe The Halfters - einem „Seitenprojekt der Künstlergruppe Pornoheft“, wie der Redakteur fürsorglich erläuternd ergänzt, - sie entfalte „eine Art Plastik-Bo-Diddley-Sound mit windschnittigem Akustikgitarren-Schrabbeldiwabbel“.[iv]  Schrabbeldiwabbel! Nicht nur ein neues oder jedenfalls sehr seltenes Wort, sondern auch eines, dem man anhört, wonach es klingt.  Solche lautmalerischen Worte besitzt das Deutsche übrigens sehr viele, angefangen von „bums“, „platsch“ oder „quietsch“ über „grummeln“, „kruschteln“ oder „knistern“ bis zu „gurren“, „sausen“ oder „quaken“. Ähnlich sind Ausrufewörter wie „meckmeck“, „plumps“, „hoppla“ oder auch: „es flutscht“. Dem Ausrufewort „ach“ gebührt eigentlich eine ganze Abhandlung, so wunderbar bedeutungsreich ist es, so endlos tiefgründig kann es gestöhnt, so gedankenlos nebensächlich oder fragend fröhlich kann es dahingeworfen werden.

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[i] Martin Woldt, „Volvo XC60:  Testosterongebremst“, Berliner Zeitung, 27./28.9.2008, S. C1.

[ii] „Was von der Kunst durchs Raster fällt“, Swantje Karich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.5.2009, Z 1.

[iii] „Medea wohnt hier nicht mehr“, von Gerhard Stadelmaier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. April 2009, Z1.

[iv] „Gehnse mit der Konjunktur!“, Junge Welt, 31. Dezember 2008, S. 13.


 

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Der Autor, Stefan v. Senger